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    Globale Extraktionen – Transkulturelle Relationen?
    Kritische und künstlerische Perspektiven angesichts erschöpter Welten
        Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
        4. Nov 2025 - 5. Febr 2026
    
Dr. phil. Franziska Koch, Transkulturelle Studien I, Institut für Kulturwissenschaten, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und AG Kunstproduktion und Kunstheorie im Zeichen globaler Migration (Ulmer Verein. Verband f. Kunst- u. Kulturwissenschaten e.V.)
Online bzw. hybride Veranstaltung an der HHU im Raum 2302.02.45
    Meeting-Kennnummer 2731 620 5149, Video-Adresse fkoch@hhu.webex.com, Audio-
    Verbindung Germany Toll +49-619-6781-9736, Zugriffscode 2731 620 5149
Die dritte Vortragsreihe der „Migratory Lectures“ der AG „Kunstproduktion und Kunstheorie im Zeichen globaler Migration“ des Ulmer Vereins widmet sich dieses Wintersemester der Frage, wie künstlerische Praxis auf die globale, menschengemachte Ressourcen-Ausbeutung des Planeten reagiert und interveniert. Sie fragt damit verbunden auch, welche Denkformen, Wissensweisen und erkenntnistheoretischen Zugänge Wissenschatler:innen – nicht zuletzt
als Menschen – zur Verfügung stehen, um einem weltweit verteilt firmierenden, von sehr unterschiedlichen, aber mächtigen Akteur:innen konstituierten extraktivistischen System kritisch zu begegnen, in dem Forschende und ihre Disziplin historisch wie gesellschatlich impliziert sind.
Die fünf online organisierten Vorträge laden interessierte Kolleg:innen und Studierende aus dem Bereich der kritischen Kunstgeschichte, den Kunst-, Bild-, Literatur- und Medienwissenschaten sowie angrenzender - auch ästhetisch/künstlerischer - Forschung ein, einen aktuellen Blick auf das bereits seit den 1970er Jahren in den Blick wissenschatlicher
Diskurse gerückte Thema zu werfen. Angesichts zunehmend erschöpter Welten folgen die Vorträge einem erweiterten Verständnis von Extraktion. Es steht paradigmatisch für die gewaltvollen, irreparablen und planetaren Auswirkungen eines hegemonialen, anthropozentrisch geprägten modernen Epistems und seiner imperialen, kolonialen und
ökonomischen (Vor-)Formierungen.
Die Beiträge analysieren anhand von zeitgenössischen künstlerischen und literarischen Positionen spezifische, historisch gewachsene und transkulturell wirksame Relationen des Extraktivismus an verschiedenen Orten wie dem deutschen Rheinland, dem kaspischen Meer oder der japanischen Präfektur Fukushima.
Neben der großflächigen materiellen, aber endlichen Mobilisierung von Bodenschätzen und ihrer Umwandlung in flüchtigere Energiezustände, deren dramatische Konsequenzen für das Leben auf der Erde akut sichtbar sind, betris der Extraktivsmus hier auch unterschiedlich gelagerte Dimensionen menschlicher, nicht-menschlicher und mehr-als-menschlicher Migration, so dass die Vortragsreihe nicht zuletzt zum Nachdenken über einen erweiterten Migrationsbegriff im Zeichen des Planetarischen anregt.
Der Begriff Extraktvismus bezeichnet weit mehr als die Aneignung und Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Er beschreibt ein grundlegendes gesellschatliches Paradigma, das auf der fortwährenden Entnahme, Abschöpfung und Externalisierung basiert – ob es sich um Rohstoffe, Daten, Wissen, kulturelle Ausdrucksformen oder finanzielle Mittel handelt.
Während „grüne“ Technologien vielfach als Ausweg aus der ökologischen Krise präsentiert werden, zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass sie oftmals selbst in extraktivistische Logiken verstrickt sind und damit neue Abhängigkeiten, Konflikte und Ambivalenzen erzeugen.
Der Vortrag führt in zentrale theoretische und praktische Dimensionen von Extraktivismen ein und beleuchtet deren ökologische, soziale und kulturelle Auswirkungen. Dazu gehören die Bildung von Enklaven in der „planetary mine“, die damit verbundenen Migrationsbewegungen sowie die Ausdehnung extraktivistischer Praktiken auf nicht-
menschliche und mehr-als-menschliche Wesen. Zeitgenössische Kunst nimmt in diesem Kontext eine doppelte Rolle ein: Sie macht unsichtbare Prozesse sichtbar und eröffnet Räume für Kritik, Imagination und Widerstand. Anhand von Beispielen aus der Gegenwartskunst in Deutschland und im globalen Süden werden transkulturelle Perspektiven aufgezeigt, die den Nexus zwischen künstlerischen Praktiken und Aktivismus ausloten.
Der Vortrag möchte damit ein Nachdenken über die Reichweite und Grenzen extraktivistischer Logiken anregen und zugleich zeigen, wie Kunst alternative Formen des Wissens, der Solidarität und des Zusammenlebens erprobt.
Dr. Hauke Ohls ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Zeitgenössische Kunst und Digitale Bildkulturen am Kunsthistorischen Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. In den Jahren 2025/2026 ist er als Visiting Researcher an der Universität Oslo mit seinem Projekt „Sites of Extractivisms: Artistic Practices from Land Reclamation to Digital
Investigations“ tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in theoretischen, soziologischen und philosophischen
Fragestellungen der modernen und zeitgenössischen Kunst, insbesondere in den Bereichen ökorelationale Kunst und ökologische Ästhetik, (Neo-)Extraktivismen, ökofeministische, pluriversale und posthumane Theorie, im Diskurs um Objekt, Materialität und Bild sowie im Verhältnis von Kunst, Ökonomie und Neoliberalismus. Er ist Autor von drei Monografien, Herausgeber mehrerer Sammelbände und steht kurz vor dem Abschluss seines Habilitationsprojekts „Ökorelationalität in der Gegenwartskunst“. Darüber hinaus ist er Co-Koordinator des DFG-Netzwerks „Transökologien. Gegenwartskunst
im Kontext der Klimakrise“.
Das atomare Desaster von Fukushima – Teil der Dreifachkatastrophe aus Erdbeben, Tsunami und nuklearer Kernschmelze im März 2011 – machte nicht nur die untrennbare Verflechtung von Natur, Technologie und Kultur sichtbar, sondern vergegenwärtigte auch die tief verwurzelten extraktivistischen Strukturen innerhalb Japans. Die Präfektur Fukushima
fungierte bereits lange vor dem Desaster als „interne Kolonie“, durch die Tokyo mit Energie versorgt wurde, wobei Menschen und Nichtmenschen systematisch ausgenutzt wurden. Auch nach 3.11, wurden diese Mechanismen durch staatliches Krisenmanagement, Imagepolitik (etwa im Kontext der Olympischen Spiele 2020) und mediale Erzählungen
fortgeschrieben. Künstlerische Arbeiten wie Akira Takayamas Happy Island – The Messianic Banquet of the Righteous (2015) reflektieren die instrumentelle Behandlung von Nutztieren, die nach dem Desaster zu radioaktivem „Abfall“ erklärt wurden. In Okabe Masao und Minato Chihiros The Irradiated Tree Series (2017-) werden Bäume als Zeugen einer ökologischen Gewalt sichtbar, die sich seit dem Pazifikkrieg fortschreibt: Das Kernkraftwerk der Fukushima Daiichi wurde
auf einem ehemaligen Militärstützpunkt des Zweiten Weltkriegs errichtet. Solche künstlerischen Positionen machen die sozio-ökologischen Dimensionen andauernder nuklearer Ausbeutung sichtbar und verweisen auf die extraktivistische, langsame Gewalt (slow violence), der sowohl Menschen als auch Nichtmenschen in nuklear kontaminierten Gebieten ausgesetzt werden.
Dr. Theresa Deichert ist Kuratorin an der Kunsthalle Giessen. Sie studierte Kunstgeschichte am University College London und promovierte anschließend an der Universität Heidelberg im Fach Transcultural Studies. Zu ihren kuratorischen Projekten zählen Aisling O’Carroll: The Temple of Science (2024) und (Un)Sichtbarkeit von Gewalt (2025). Als Kuratorin und
Kunsthistorikerin untersucht sie, wie zeitgenössische Kunst mit sozio-politischen Realitäten und ökologischen Verflechtungen in Dialog tritt. Zu ihren Publikationen zählen Imagining the Apocalypse (Courtauld Books Online, 2022), Nuclear Ecologies: Art and Collabora'on in Post-3.11 Japan (Routledge, 2026).
Beinahe unbemerkt hat die Region, das Regionale wieder Präsenz in der Gegenwartsliteratur gewonnen. Sie begegnet uns nicht mehr nur im Bereich von Regionalkrimi etc., sondern vor allem dort, wo die Akteure des Literaturbetriebs sich mit der Verantwortung gegenüber der Erde auseinandersetzen und Schreibpraktiken wie nature writing oder das Schreiben in der
anthropozänen Kondition reflektieren. Der Regionenbegriff ist in diesem Kontext „deep“ im Sinne von tiefenzeitlich reflektierend und „dark“ im Sinne einer Begegung mit verdrängten oder unbewussten Inhalten. Der Roman „Der Vorhang. Eine (beinahe) wahre Geschichte“ von Beatrix Langner (2021, Berlin) greift auf die verschiedenen Möglichkeiten zurück, Region in diesem Sinne synchron und diachron als komplexes Erinnerungskonstrukt im Sinne eines „kritischen Globalismus“ (Monica Juneja, Can Art History be Made Global?, Berlin 2023) zu beschreiben. Dabei stellt der Verlust von Region den Ausgangspunkt ihres Romans dar: Die Erzählinstanz kehrt in eine Landschaft zurück, die es nicht mehr gibt. Der Mensch hat diese Landschaft so tief abgebaggert, dass aus dem erdzeitlichen Gedächtnis getilgt ist. Den melancholischen Sound des Romans prägt nicht der Verlust der Vergangenheit, sondern die Frage, was die Zukunft benötigt. Erinnerung stellt hierbei sowohl Essenz als auch Herausforderung dar – „Die Vergangenheit ist nicht tot. Sie lächelt mich an. Sie lockt mich, sie schneidet mir Grimassen, sie lallt und flüstert, erinnere dich, stammelt sie, damit du vergessen lernst.“
Dr. Jasmin Grande ist Geschäftsführerin des „Moderne im Rheinland. Zentrum für Rheinlandforschung“ der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Sie promovierte zur Wissenschaftsgeschichte des Phantastischen und forscht in ihrem Habilitationsprojekt zur regionalen Literaturgeschichtsschreibung im Anthropozän. Zu ihren Veröffentlichungen
zählen u.a.: (zus. m. Melanie Lange) Die Konsolidierung der Bonner Republik, Bielefeld 2025; (zus. m. G. Cepl-Kaufmann, D. Geppert und B. Wintgens) Ende der Bonner Republik? Der Berlin-Beschluss 1991 und sein zeithistorischer Kontext, Düsseldorf 2024; Glasgalaxien. Über Avantgarde, Berlin/Boston 2022; (zus. m. E. Wiegmann, M. Männig, W. Delabar) Einstein. Ein Widerbesuch, Bielefeld 2021.
Dennoch bleiben die materiellen Realitäten der Öl- und Gasförderung hinter ästhetisierten Bildern oftmals systematisch unsichtbar. Dies ist ein Symptom extraktivistischer Praktiken, die Ressourcen, Arbeit, Wissen und Daten ausblenden und im Sinne von Timothy Mitchells „Carbon Democracy“ depolitisierende Effekte erzeugen. Am Beispiel des Kaspischen Meeres als einem frühen Knotenpunkt petromoderner Entwicklungen wird nachvollzogen, wie Ölströme europäische Märkte formten, koloniale und kapitalistische Machtordnungen stabilisierten und die Selektivität des kunsthistorischen Kanons mitproduzierten. Künstlerische Fallstudien zu zeitgenössischen Gegen-Narrativen aus der Region legen die sozio-ökologischen Folgen offen, machen die Logik selektiver Sichtbarkeit von Infrastruktur erfahrbar und verschieben Sehgewohnheiten und Erzählformen.
Dr. Katrin Nahidi ist seit 2022 Universitätsassistentin an der Universität Graz und arbeitet an ihrem Habilitationsprojekt „Visualizing Petroscapes: Art and Oil in the Caspian Sea Region“. Dabei untersucht sie die fundamentale Rolle von Öl für Modernitäten sowie moderne und zeitgenössische künstlerische Repräsentationen, die sich mit Ölextraktivismus beschäftigen. Im Frühjahrssemester 2025 war sie Gastprofessorin am Institut für Kunstgeschichte der University of Minnesota. 2021 promovierte sie an der Freien Universität Berlin mit einer Dissertation über modernistische Kunstproduktion und Kulturpolitik im Iran. Dieses Projekt wurde vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Sinergia-Projekts „Other Modernities - Prac;ces and Patrimony of Visual Expression Outside the West“ gefördert. Ihre Monografie „The Cultural Politics of Art in Iran: Modernism, Exhibitions, and Art Production“ wurde 2023 bei Cambridge University Press veröffentlicht. Ihre Forschungsinteressen umfassen globale Kunst, nicht-westliche moderne und zeitgenössische Kunst, ökologische Kunstgeschichte, Feminismus, Posthumanismus, Kunstheorie aus dem Globalen Süden und postkoloniale Kunstgeschichte.
Ausgehend von Finanzialisierungslogiken, die unbekannte Territorien wie die Tiefsee, zu erschließen ersuchen, da diese die lukrativsten Formen der Kapitalakkumulation verheißen, untersucht das künstlerische Forschungsprojekt Marine Media Metabolism aktuelle materiell-diskursive Dispositive des Extraktiven und onto-epistemolgische Möglichkeiten ihrer Destabilisierung durch künstlerische Praxis. Insbesondere werden dabei die Technologien und Forschungsmethoden mariner Geowissenschaften betrachtet, welche den Meeresboden für globales Kapital dechiffrierbar und zugänglich machen, ebenso wie die Modelle zur Prognose finanzieller Entwicklung von Investments in Tiefseebergbaubestrebungen als kalkulative Infrastrukturen von Extraktion.
Wenn extraktive Epistemologien durch disziplinäre Paradigmen, anthropozentrische Erkenntnismodelle, Objektivierung, dualistische Trennungen, ökonomische Verwertungslogik, Pragmatismus, Komplexitätsreduktion, Fragmentierung, Abstraktion, Quantifizierung, Externalitätslogiken und Negation von historischen Gewaltverhältnissen als Strukturierungselement von Wissen charakterisierbar sind, stellt sich die Frage nach Bedingungen von Wissensproduktion für ein Paradigma jenseits der Extraktionslogik.
Anhand des vorgestellten Projekts wird die Frage diskutiert, inwiefern künstlerische Forschungspraktiken, die aufgrund ihrer Transdisziplinarität, multiplen Medien und Methoden, postanthropozentrischen Ansätzen und interspezialen Kollaborationen, kritische materiell-diskursive Wissensformen hervorbringen können, die fundamentale machtheoretische Bedingungen von Wissensgenese in ihrer Verschränkung mit extraktiven Dispositiven in Frage stellen und produktive transformative Brüche in diese zeichnen können.
Carolin Melia Brendel ist Medienkünstlerin und Finanzsoziologin. Aktuell promoviert sie in künstlerischer Forschung zu toxischen Verschränkungen digitaler Materialität mit der Hydrosphäre im Kontext des digitalen Kapitalismus an der Hochschule für Künste Bremen und der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel. Ihre Arbeiten untersuchen den
multimodalen Nexus zwischen Machtverhältnissen und Wissensformationen unter Verwendung transmedialer, installativer, postanthropozentrischer und transdisziplinärer Methoden. Sie entwickelt antidisziplinäre Onto-epistemologien an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft in Form von künstlerischen Forschungsapparaturen. Ihr Studium in
Anthropologie, Soziologie und Medienkunst in Wien, Paris und Frankfurt prägen ihre künstlerische Forschungspraxis. Ihre künstlerischen Solo- und Gruppenarbeiten wurden u.a. im Rahmen der Wiener Festwochen, Kunsthalle Wien, Künstlerverein Malkasten Düsseldorf, Schaufler Lab Dresden, Swiss Artistic Research Network und Transmedia Research Institute Milan präsentiert. Sie ist Autorin des Buches Aerobic Topologies (2025), erschienen bei Schlebrügge.editor
Die Organisatorin dankt, auch im Namen der AG, Prof. Eva-Maria Troelenberg (Transkulturelle Studien I) der Heinrich-Heine-Universität für die finanzielle Unterstützung des hybrid in Düsseldorf organisierten Vortrags von Theresa Deichert und allen Vortragenden für Ihren großen, unentgeldlichen Einsatz.
